(Fach)Experten würden jetzt auf MPS testen! Sie auch?

Expert*innen auf dem Gebiet der MPS sind sich einig: „Steife Gelenke ohne Entzündungszeichen und Kyphose oder Gibbus sind spezifische Anzeichen und Symptome, die allein ausreichen, um den Verdacht auf MPS I zu erwecken und die Überweisung an ein spezialisiertes Zentrum für MPS-Tests zu veranlassen.“1 Dies ist das Ergebnis eines internationalen Gremiums, welches den folgenden Diagnosealgorithmus ausgearbeitet hat: 

Algorithmus zur frühen Verdachtsabklärung und Überweisung bei Patient*innen mit Mukopolysaccharidose Typ 1 (MPSI).

Eine  Kyphose/Gibbus tritt bei 70 % der Patient*innen mit dem Morbus Hurler-Phänotyp auf, während sie bei Patient*innen mit Morbus Hurler-Scheie- zu 33,5 % und Morbus Scheie-Phänotypen zu 21,3 % auftritt .2

Warum sollten Sie bei einer Kyphose/einem Gibbus einen MPS-Verdacht untersuchen?

Der Enzymmangel bei MPS führt zur Ansammlung von Glykosaminoglykanen (GAGs) in verschiedenen Körpergeweben, einschließlich der Wirbelsäule. Wie die meisten erblichen Stoffwechselstörungen weist MPS ein hohes Maß an Heterogenität im klinischen Erscheinungsbild und im Verlauf auf. Skelett- und Gelenkbeteiligung gehören zu den wichtigsten Krankheitsmanifestationen bei MPS.3 Daher wird MPS auch als Skelettdysplasie klassifiziert, eine große Gruppe genetisch bedingter Erkrankungen, die durch Anomalien im Wachstum, in der Entwicklung, in der Differenzierung und im Erhalt von Knochen und Knorpel gekennzeichnet sind.4

Die Wirbelsäule kann bei fast allen MPS-Formen verkrümmt sein. Das Spektrum dieser
reicht von leichten Skoliosen, Kyphosen und Kyphoskoliosen (bei den attenuierten
MPS-Formen) bis hin zum Gibbus bei schweren Verläufen.5 Gelenkkontrakturen, Steifheit und Schmerzen sowie beidseitige Hüftdysplasie sind prominente Manifestationen der abgeschwächten Formen von MPS I, II, VI und VII.6

Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung kann dazu beitragen, die Krankheitslast zu reduzieren und die Lebensqualität von Patient*innen mit MPS I und Betreuenden zu verbessern.

Röntgenaufnahme der LWS seitlich, Ovoide Wirbelkörper mit zentralen Ausziehungen, thorakolumbaler Gibbus,  4 Jahre und 4 Monate alte/r Patientin mit MPS I

Abbildung 2: Röntgen der LWS seitlich, Ovoide Wirbelkörper mit zentralen Ausziehungen, thorakolumbaler Gibbus, 4 Jahre und 4 Monate alte/r Patientin mit MPS I (Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Christina Lampe)

Erstmanifestation einer Kyphose oder auch Gibbus bei MPS I:

Daten einer MPS-I-Registerstudie zeigen, dass bei Morbus Scheie-Patient*innen Gelenkkontrakturen, Dysostosis multiplex und Hüftdysplasie erstmals im Durchschnittsalter von 7,6 bis 8,4 Jahren auftraten.2

Bei Morbus Hurler-Scheie-Patient*innen wurden erstmals im Alter von 4,1 bis 4,6 Jahren Dysostosis multiplex, Gelenkkontrakturen und Kyphose/Gibbus festgestellt.2 Dabei handelt es sich jedoch meist nicht um die ersten Symptome, die oft unspezifisch sind, wie zum Beispiel rezidivierende Atemwegs- und Ohreninfekte sowie Nabel- und Leistenbrüche.

Was tun bei einem Gibbus mit Verdacht auf MPS I?

Tests und Diagnosestellung

Labordiagnostik

Ein MPS I-Verdacht kann durch einen Urin- oder Trockenbluttest und einer anschießend genetischen Bestätigung diagnostiziert werden. 

Symptomchecker

Künstliche Intelligenz unterstützt auch zunehmend in der Ursachenfindung für verschiedenste Symptome. Besonders bei unspezifischen Symptomen können KI-Symptomchecker nützliche Helfer sein. Probieren Sie es selbst aus:

Hands-Up Test

Aufgrund der zunehmenden Gelenkbeteiligung bei einer MPS I, kann mittels eines einfachen Hands-Up Test die eingeschränkte Schulterbeweglichkeit als Blickdiagnose bereits einen ersten Verdacht liefern. Mehr dazu erfahren Sie hier

Behandlung:

Therapie

Eine mögliche Therapie setzt sich aus einer spezifischen Behandlung und supportiven Maßnahmen zusammen. Sie richtet sich zudem nach der Verlaufsform der Erkrankung. 

Physiotherapie:

Regelmäßige Übungen können helfen, die Muskulatur zu stärken und die Beweglichkeit zu verbessern.4 Physio-, Ergo- und weitere Therapien sowie eine symptomatische therapeutische Betreuung sind wichtiger Bestandteil der Behandlung von MPS.7,8 In einigen Fällen können Rückenorthesen (Stützkorsetts) verwendet werden, um die Wirbelsäule zu stabilisieren.4

Weiter Informationen zu den symptomatischen Therapien finden Sie auch auf der Seite der Gesellschaft für Mukopolysaccharidosen e.V.

Chirurgische Eingriffe:

Bei MPS I und MPS VI ist häufig eine chirurgische Stabilisierung der Wirbelsäule erforderlich, die das Fortschreiten der Kyphose stoppen kann, auch nach einer hämatopoetischen Stammzelltransplantation (HSCT). Die Indikationen für diese Operation variieren je nach den Bedürfnissen des Kindes/des Betroffenen und den Wünschen der Familie. Eine Behandlung mittels Korsett kann die Deformität vorübergehend stabilisieren.4 Bei der Therapieentscheidung müssen das individuelle Anästhesierisiko, mögliche Komplikationen und die Belastung durch die Deformität berücksichtigt werden.3

    1. Tylki-Szymanska A et al. Easy-to-use algorithm would provide faster diagnoses for mucopolysaccharidosis type I and enable patients to receive earlier treatment. Acta Pædiatrica 2018 107, pp. 1402–1408
    2. Beck M et al. The natural history of MPS I: global perspectives from the MPS I Registry.Genet Med 2014;16(10):759–765
    3. Lampe C, Lampe C. Mucopolysaccharidoses and orthopedic management (Focused also on Craniocervical Junction). JCS 2018;08(01):e128–e137
    4. Lampe C. Orthopädische Aspekte der Mukopolysaccharidosen. CME-Verlag 2021
    5. Lampe C Herausforderung frühe Diagnose: Mukopolysaccharidosen anhand skelettaler Manifestationen erkennen. CME-Verlag 2021
    6. Lampe C et al. Milde Mukopolysaccharidose-Formen. Akt Rheumatol 2016;41(05):383–389
    7. de Ru MH et al. Orphanet J Rare Dis 2011; 6: 55
    8. Muenzer J et al. Pediatrics 2009; 123: 19-29