Einbindung MS-Angehöriger bei Multipler Sklerose

Die Diagnose „Multiple Sklerose“ wirkt sich nicht nur auf die Betroffenen selbst aus. Auch deren Lebenspartner, Kinder, Eltern und der Freundeskreis können von den Auswirkungen der Erkrankung betroffen sein. Die Multiple Sklerose lässt sich inzwischen deutlich besser behandeln als noch vor einigen Jahren. Trotzdem machen sich Patienten – wie auch ihr Umfeld – viele Gedanken um die Zukunft. Sie grübeln, wie sich die Erkrankung weiterentwickeln und wie ihr künftiges Leben aussehen wird. Wird es zu Behinderungen als Folge der Multiplen Sklerose kommen? Wie kann man dem vorbeugen? Drohen am Ende doch der Rollstuhl und die Pflegebedürftigkeit? Das sind Fragen, die sich vielen Betroffenen aufdrängen, auch wenn sie wissen, dass dank der besseren Behandlungsmöglichkeiten ein solches Schicksal heutzutage weitaus seltener geworden ist.

Die Belastung kann umso größer sein, je mehr die Betroffenen versuchen, Ängste nur mit sich selbst auszumachen. Eine offene Kommunikation über Multiple Sklerose und deren potenzielle Folgen ist deshalb für Patienten wie auch ihre Angehörigen wichtig. Im gemeinsamen Gespräch zwischen Behandler, Patient und Angehörigen kann so manches Problem relativiert werden. Außerdem kann direkt geklärt werden, wann und welche Unterstützung der MS-Betroffene benötigt. Es ist deshalb sinnvoll, Patienten vor Kontrolluntersuchungen zu bitten, ihre Angehörigen mitzubringen, um anstehende Fragen in der Praxis gemeinsam zu besprechen.

Zuhören statt reden

Häufig muss eine offene Kommunikation zu krankheitsbezogenen Fragestellungen sogar erst gelernt werden. Auch in dieser Hinsicht kann die praktische Unterstützung durch den behandelnden Arzt und/oder die MS-Nurse hilfreich sein. Angehörige sollten verstehen, dass es vor allem wichtig ist, zuzuhören und den Betroffenen ausführlich von seinen Problemen und Befürchtungen berichten zu lassen. Ein solches Gespräch kann sehr entlastend wirken, auch wenn an seinem Ende noch keine konkreten Lösungsvorschläge stehen.

Im gemeinsamen Gespräch können der behandelnde Arzt oder die MS Nurse helfen herauszufinden, worunter die von Multipler Sklerose Betroffenen besonders leiden – z. B. unter Müdigkeit und Antriebsschwäche, also der Fatigue, oder z. B. unter der Erkenntnis, dass das früher gewohnte Arbeiten unter Zeitdruck und das Bewältigen mehrerer Aufgaben gleichzeitig, also das Multitasking, zunehmend schwer fallen. Solche sogenannten „unsichtbaren Symptome“ können sehr belastend sein und das familiäre und auch berufliche Miteinander stark beeinträchtigen. Sie sind jedoch häufig durch einfache Maßnahmen zu lindern. Zum Beispiel helfen bei der Fatigue regelmäßig eingelegte Erholungspausen und Sport. Bei kognitiven Veränderungen kann eine Umstrukturierung am Arbeitsplatz hilfreich sein. Es ist daher wichtig, dass alle Beteiligten – also auch die Angehörigen – gut über die Multiple Sklerose und über die damit verbundenen Symptome informiert sind. So lassen sich Konfrontationen vermeiden und die soziale Unterstützung kann sogar dazu beitragen, dass die Symptome insgesamt besser bewältigt werden.

Bei Multipler Sklerose unterstützen, aber nicht bevormunden

So verständlich der Wunsch ist, das erkrankte Familienmitglied zu unterstützen – die Hilfsangebote dürfen nicht in einer Bevormundung und/oder einer gewissen Überfürsorglichkeit münden. Dieser Aspekt sollte gemeinsamen Gespräch mit Patient*in und Angehörigen werden. Betroffene sollten unbedingt die Möglichkeit behalten, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, und darin keinesfalls eingeschränkt werden.

Umgekehrt wollen allerdings auch so manche MS-Patienten partout keine Hilfe von ihren Angehörigen annehmen. Sie versuchen vielmehr, auch schwierige Krankheitsphasen alleine zu bewältigen, was zu Stress, Überforderung und Frustrationen führen kann. Familienangehörige fühlen sich dann oftmals zurückgewiesen und reagieren mit Unverständnis. Es kann zu Vorwürfen und Streitgesprächen kommen, wobei sich die Belastungen wie in einem Teufelskreis verstärken können. Auch eine solche Situation kann in einem offenen Gespräch mit dem Patienten und seinen Angehörigen angesprochen werden.

MS-Tabuthemen nicht ausklammern

Im Gespräch mit dem Multiple-Sklerose-Patienten und seinen Angehörigen sollten auch Tabuthemen nicht ausgeklammert werden. Das gilt insbesondere für das Thema Sexualität. So kann es im Verlauf der MS zu Problemen im Sexualleben kommen. Diese können die Folge einer gestörten Körperwahrnehmung oder auch anatomischer oder funktioneller Veränderungen wie beispielsweise einer Störung der Harnblasenfunktion sein. Auf solche potenziellen Folgen einer Multiplen Sklerose sollten Patienten wie auch ihre Angehörigen vorbereitet und für den Fall der Fälle zu einem offenen Wort gegenüber ihrem Lebenspartner und auch gegenüber ihrem Arzt, Apotheker oder MS-Nurse motiviert werden.

Tipps für die Betreuung von Patienten mit Multipler Sklerose

  • Patienten mit Multipler Sklerose bitten, hin und wieder einen engen Angehörigen zum Gespräch mitzubringen
  • Mögliche Alltagsprobleme, wie sie sich beispielsweise aus der Fatigue ergeben können, ansprechen
  • Im gemeinsamen Gespräch klären, wie viel Unterstützung der Patient braucht und ob er diese aus seiner Sicht adäquat bekommt
  • Angehörige durchaus auch auf das Problem einer möglichen „Überfürsorge“ hinweisen
  • Patienten und Angehörige motivieren, mit ihrer Kraft hauszuhalten, und sie auf zusätzliche Unterstützungsmöglichkeiten hinweisen, z. B. über Freunde und Bekannte, eine Haushaltshilfe oder eine Hilfe bei der Kinderbetreuung
  • MS-Patienten und Angehörige motivieren, „Auszeiten“ vom Alltagsstress für sich zu planen, zum Beispiel in Form eines Kino- oder Theaterbesuchs oder sogar eines gemeinsamen Kurzurlaubs, um neue Kraft zu tanken
  • Kriselt es offenkundig in der Partnerschaft, auch auf externe Hilfsangebote zum Beispiel über die Wohlfahrtsverbände oder Pro Familia hinweisen

Zusammenfassung

Die Betreuung von Menschen mit Multipler Sklerose sollte sich nicht allein auf den Erkrankten beschränken, sondern auch seine Familienangehörigen umfassen. Im Gespräch mit dem Patienten und seinem Lebenspartner können wichtige Informationen zur MS, ihrer Behandlung und auch zur Prognose vermittelt werden. Es ist außerdem möglich, Ängste und Sorgen der MS-Patienten wie auch ihrer Angehörigen zu thematisieren und durch das Gespräch für eine deutliche Entlastung im familiären Umfeld zu sorgen.

Apropos

Es gibt verschiedene Organisationen, die nicht nur für Menschen mit Multipler Sklerose, sondern auch für deren Angehörige ein Ansprechpartner hinsichtlich der Krankheitsbewältigung sein können. Dazu gehören unter anderem die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) (www.dmsg.de) sowie AMSEL e.V. (www.amsel.de). Die Patientenorganisation hat unter anderem eine spezielle Broschüre mit dem Titel „Gemeinsam stark – Anregungen für Angehörige“ erarbeitet.

MAT-DE-2304276-1.0-09/2023