Zusammenfassung
Eine verlangsamte Wachstumsgeschwindigkeit in Kombination mit Gelenkkontrakturen oder Gelenksteifigkeit ist ein Verdachtsmoment für MPS I, der abgeklärt werden sollte (Guffon 2019, Martins 2018).
Es gibt zahlreiche monogene Ursachen für Kleinwuchs oder Wachstumsverzögerungen. In Verbindung mit anderen unspezifischen Symptomen, wie z. B. Gelenkkontrakturen, Karpaltunnelsyndrom oder einer Hornhauttrübung, sollte jedoch unbedingt an Mukopolysaccharidose Typ 1 (MPS I) gedacht werden. Auf dieser Seite finden Sie Informationen zu den klinischen Zeichen, zur Ausprägung sowie zur Ursache der Wachstumsverzögerung bei MPS I-Patienten.
Klinische Zeichen einer Wachstumsverzögerung bei MPS I
Fast alle Formen von MPS gehen mit einem Kleinwuchs oder einer Verzögerung des Wachstums einher.
Viele Patienten mit Mukopolysaccharidosen (MPS) zeigen ein vermindertes Größenwachstum unabhängig von Phänotyp oder Schweregrad. Dies lässt sich gut an den Wachstumskurven erkennen, die bei den obligatorischen Früherkennungsuntersuchungen (U1 bis U9, sowie J1) routinemäßig erfasst werden. Auch bei der MPS I zählt ein auffälliges Wachstumsmuster zu den führenden Symptomen und spielt besonders bei den attenuierten Verlaufsformen eine wichtige Rolle für eine frühzeitige Diagnosestellung (Benckendorff 2020, Guffon 2019, Martins 2018).
Als Warnsignal gilt eine verringerte Körpergröße, wenn…
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die Körpergröße im Verlauf um mehr als 1 SDS (Standard Deviation Score) verringert ist oder
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der SDS mehr als 2 Standardabweichungen unter dem Ziel-SDS (elterliche Größe) liegt oder
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die Größe unterhalb von -2 SDS liegt.
Eine Abklärung sollte bei Vorliegen einer dieser Aspekte möglichst bald angestrebt werden (Pfäffle 2020).
Bei Geburt unterscheiden sich Kinder mit MPS I nicht von gesunden Kindern. Patienten mit Morbus Hurler sind sogar häufig etwas größer und das Wachstum ist anfangs sehr schnell. Im 2. Lebensjahr verlangsamt sich das Wachstum und etwa ab einem Alter von drei bis vier Jahren verlassen sie den Normbereich der Wachstumskurve. Ab dem 6. Lebensjahr stagniert das Wachstum (Abb. 1) (Viskochil 2019).
Abbildung 1: Geschätzter Wachstumsverlauf am Beispiel unbehandelter männlicher Patienten mit Morbus Hurler. Alter 0–24 Monate und 2–12 Jahren; modifiziert nach (Viskochil 2019).
CDC/WHO-Standardkurven (blau) überlagern ein Streudiagramm von MPS I-Registerdaten (graue Punkte). Die rote durchgezogene Mittellinie entspricht der nach LMS berechneten medianen Wachstumskurve unbehandelter männlicher Morbus Hurler-Patienten. Die gestrichelten roten Linien stellen jeweils die 97. und 3. Perzentile dar. Die Standard-Wachstumskurve gemäß CDC gesunder Kinder inkl. 97. und 3. Perzentile sind in blau dargestellt.
CDC: Center for Disease Control and Prevention; WHO: World Health Organization; LMS: Lambda Mu Sigma.
Auch bei den attenuierten Verlaufsformen der MPS I kann sich die Wachstumsgeschwindigkeit bereits in den ersten zwei bis drei Lebensjahren verlangsamen oder wird unregelmäßig. Ab dem neunten Lebensjahr kann je nach Verlauf der Erkrankung die Körpergröße unter die dritte Perzentile der Normwachstumskurve fallen, der pubertäre Wachstumsschub setzt verzögert ein, ist verringert oder bleibt vollständig aus (Abb. 2) (Guffon 2019, Viskochil 2019).
Abbildung 2: Geschätzter Wachstumsverlauf für unbehandelte Patienten mit attenuierter Verlaufsform von MPS I (2 – 20 Jahre); modifiziert nach (Viskochil 2019)
CDC/WHO-Standardkurven (blau) überlagern ein Streudiagramm von MPS I-Registerdaten (graue Punkte). Die rote durchgezogene Mittellinie entspricht der nach LMS berechneten medianen Wachstumskurve unbehandelter Patienten. Die gestrichelten roten Linien stellen jeweils die 97. und 3. Perzentile dar. Die Standard Wachstumskurve gemäß CDC gesunder Kinder inkl. 97. und 3. Perzentile sind in blau dargestellt.
CDC: Center for Disease Control and Prevention; WHO: World Health Organization; LMS: Lambda Mu Sigma.
Passen Körpergröße und Erscheinungsbild von Eltern und Kind zusammen?
Liegt ein vermindertes Größenwachstum vor, sollten neben einer ausführlichen klinischen Untersuchung auch eine umfassende Anamnese erfolgen.
Wichtigster Faktor für das Größenwachstum sind die Erbanlagen der Eltern. Daher sollten bei einem Verdacht auf eine Wachstumsverzögerung immer die Größen der Eltern berücksichtigt werden (Jenni 2015).
Ursache der Wachstumsverzögerungen bei MPS I
MPS I beruht auf einem Enzymdefekt, wodurch der lysosomale Abbau von Glykosaminoglykanen (GAG) gestört ist. Der unvollständige Abbau von GAG bei einer MPS I-Erkrankung führt zu deren Anhäufung in Zellen und Geweben, was zu zunehmenden Schäden und klinischen Manifestationen im gesamten Körper führt. Besonders die Ossifikation der Knochen ist davon betroffen, wodurch das Wachstum der Knochen beeinflusst wird. Neben Deformationen des Skeletts kann dies dann zum Kleinwuchs führen (Clarke 2011, Hampe 2020, Oussoren 2011).
Wachstumsverzögerung und der Verdacht auf MPS I
Diagnoseempfehlungen bei Wachstumsverzögerungen
Wachstumsverzögerungen können verschiedene Ursachen haben. Treten zusätzliche MPS I-assoziierte Symptome auf, wie z. B. Gelenkkontrakturen oder eine Hornhauttrübung, so kann die Ursache MPS I sein.
Um die Diagnosestellung in der Praxis zu vereinfachen, haben wir die von MPS-Experten entwickelten Diagnosealgorithmen vereinfacht dargestellt. Diese können, je nach Praxis-Schwerpunkt, bei der diagnostischen Abklärung von Patienten mit vermindertem Größenwachstum unterstützen (Abb. 3 und 4) (Guffon 2019, Martins 2018).
Pfäffle R. Monatsschrift Kinderheilkunde 2020; Band 168
Clarke LA. Rheumatology (Oxford) 2011;50 Suppl 5:v13-18
Guffon N et al. Eur J Pediatr 2019;178(4):593-603
Hampe CS et al. Cells 2020;9(8)
Jenni O et al. (Hrsg.). Springer Verlag Berlin Heidelberg, 2015
Martins AM et al. BMC Endocrine Disorders 2018;18(1):83
Oussoren E et al. Biochim Biophys Acta 2011;1812(11):1542-1556
Viskochil D et al. American Journal of Medical Genetics Part A 2019;179(12):2425-2432
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Header-Bild: Sanofi-Aventis Deutschland Gmbh, Harshraj, MPS I
MAT-DE-2303787 V1.0-12/2023