Eine internationale Konsenserklärung zu Definition, Biologie, klinischen Auswirkungen und zukünftigen Wegen1
Entwickelt von einem internationalen Gremium von 15 MS-Experten aus 8 Ländern in Europa, den USA und Kanada
Im Juli 2024 wurde ein internationaler Konsens1 veröffentlicht, um einen Rahmen für das Verständnis der potenziellen pathologischen Substrate und Manifestationen der schwelenden („smouldering“) Multiple Sklerose MS zu schaffen. In dieser Veröffentlichung werden auch klinische, radiologische und Serum- bzw. Liquor-Biomarker untersucht, die zur Überwachung der Smouldering-assoziierten Verschlechterung (SAW) und zur Optimierung der Krankheitsüberwachung eingesetzt werden können. Hier finden Sie eine Zusammenfassung ausgewählter wichtiger Fortschritte beim Verständnis und der Behandlung von MS.
Smouldering Associated worsening (SAW) in der Multiplen Sklerose1
Das SAW-Konzept erkennt an, dass viele MS-Patienten eine subtile klinische Verschlechterung erfahren, obwohl keine akuten Schübe oder sichtbare entzündliche Magnetresonanztomographie (MRT) Aktivität vorliegt. Dem Konsens zufolge wird diese Verschlechterung durch zugrundeliegende „schwelende“ pathologische Prozesse verursacht und trägt wesentlich zur langfristigen Behinderung bei. Der Konsens unterstreicht die Notwendigkeit, solche schwelenden Verschlechterungen, die durch chronisch zugrunde liegende pathologische Prozesse verursacht werden, zu erkennen und von schubassoziierten, durch akute Schübe verursachten Verschlechterungen zu unterscheiden (Abb. 1).
SAW is a key phenomenon for permanent loss of function in MS1
Expertengremium & Methodik1
Die Experten wurden aufgrund ihrer klinischen Erfahrung, ihres wissenschaftlichen Hintergrunds und ihrer georgrafischen Vertretung ausgewählt. Sie trafen sich mehrmals, um 7 Schlüsselbereiche zu identifizieren, die behandelt werden sollten, und bestimmten dann einen führenden Experten, der eine Untergruppe koordinierte, um Aussagen zu entwickeln. Die Delphi-Methode wurde verwendet, um anonym die Übereinstimmung zu messen. Alle Experten stimmten den endgültigen Aussagen und Empfehlungen zu.
Klinische Manifestationen1 (Abb. 1)
SAW geht mit einer Vielzahl von sich allmählich verschlechternden körperlichen und kognitiven Symptomen einher, wie z. B. subtilen motorischen Beeinträchtigungen, kognitiver Verlangsamung, Müdigkeit, neuropathischen Schmerzen, autonomen Funktionsstörungen wie Blasen- und Darmproblemen und sexuellen Funktionsstörungen. Solche Symptome lassen sich möglicherweise nicht mit herkömmlichen klinischen Messinstrumenten wie der Expanded Disability Status Scale (EDSS) erfassen, können aber mit empfindlichen klinischen Instrumenten überwacht werden. Der Multiple Sclerosis Functional Composite (MSFC) und der EDSS-Plus könnten beispielsweise eine frühzeitige und umfassende Charakterisierung der Krankheitsverschlechterung ermöglichen und die Identifikation relativ subtiler Veränderungen der Behinderung besser zu erkennen. Solche Instrumente könnten in die klinische Routinepraxis integriert werden.
Pathologische Mechanismen1
SAW ist durch verschiedene pathologische Prozesse gekennzeichnet, die zu einer chronischen Neuroinflammation und Neurodegeneration der weissen Substanz, des Kortex, des Rückenmarks und der tiefen grauen Substanzstrukturen führen. Zu diesen Prozessen gehören die Mikroglia-Aktivierung um Chronisch Aktive Läsionen (CALs) mit Interaktion zwischen B- und T-Zellen, die B-Zell-Aktivierung innerhalb des zentralen Nervensystems (ZNS) in Verbindung mit kortikaler Demyelinisierung, astrozytär bedingte chronische Neuroinflammation und intrinsische Defizite des neuronalen Stoffwechsels und der Funktion. Diffuse Mikroglia-Aktivierung und Anzeichen einer oxidativen Schädigung stehen im Zusammenhang mit axonaler Schädigung, erhöhter Phagozytose, Demyelinisierung und abnormalem synaptischem Pruning. Innerhalb der CALs und im ZNS lokalisiert haben B-Zellen nachweislich die Bildung von tertiärem lymphatischem Gewebe in den Hirnhäuten ausgelöst, wo sich entzündliche Aggregate ansammeln und mit der benachbarten subpiären kortikalen Demyelinisierung assoziiert sind.
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Es wird angenommen, dass die Kombination von weit verbreiteten entzündlichen und degenerativen Schädigungen in Verbindung mit dem Versagen von Kompensationsmechanismen zu SAW führt. Diese schwelenden Prozesse unterscheiden sich von den akuten entzündlichen Ereignissen, auf die die derzeitigen MS-Therapien in der Regel abzielen, und man nimmt an, dass sie eine wichtige Rolle beim langfristigen Fortschreiten der Behinderung bei MS-Patienten spielen. Der Umgang mit diesen Prozessen stellt eine große Herausforderung und Chance für die Verbesserung der MS-Behandlungsstrategien.
Integration in die klinische Praxis1
Die klinischen Deskriptoren sollten überarbeitet werden, da es Hinweise auf eine schwelende Pathologie und ein Fortschreiten der Krankheit gibt, die sogar in frühen Krankheitsstadien auftreten (Abb. 2). Offene Gespräche mit den Patienten über die schwelende Neuroinflammation können helfen, die Erwartungen der Patienten angemessen zu gestalten. Ein ganzheitlicher Behandlungsansatz, der sich nicht nur mit MS-spezifischen Prozessen befasst, sondern auch die Vorbeugung und/oder Behandlung von Komorbiditäten und die Förderung gesunder Lebensstilfaktoren (z. B. körperliche Bewegung, Ernährung, Raucherentwöhnung, gute Schlafgewohnheiten) einschließt, kann die Auswirkungen der schwelenden Neuroinflammation möglicherweise minimieren.
SAW starts early and persists throughout the course of MS1
Alterung1
Die schwelende Neuroinflammation bei MS kann die vorzeitige biologische Alterung des ZNS fördern, während altersbedingte biologische Veränderungen auch den Effekt der schwelenden-Mechanismen verstärken können, was schließlich zu einer beschleunigten Alterung des Gehirns führt. Daher könnte das prognostizierte Alter des Gehirns ein potenzieller bildgebender Surrogatmarker für die Gesundheit des Gehirns sein, um die schwelende Neuroinflammation bei MS zu überwachen.
Biomarker und Bildgebung1
Bildgebende Verfahren und Biomarker aus Serum und Liquor (CSF) können eingesetzt werden, um SAW effektiver zu überwachen (Abb. 1). Dazu gehören beispielsweise Neurofilament light (NfL), Glial Fibrillary Acidic Protein (GFAP), Slowly Expanding Lesions (SELs) und Paramagnetic Rim Lesions (PRLs). Diese Biomarker könnten helfen, eine schwelende Neuroinflammation früher zu erkennen und individuellere Behandlungsansätze zu entwickeln.
Diese Biomarker gelten als vielversprechend für das Verständnis und die Überwachung der schwelenden Aktivität bei MS und könnten dazu beitragen, Patienten zu identifizieren, bei denen trotz Rückfallfreiheit das Risiko einer kontinuierlichen Verschlechterung besteht.
Abschlusspunkte1
- RAW und SAW stellen zwei zentrale klinische Phänomene der MS-Erkrankung dar, die jeweils auf unterschiedlichen pathologischen Prozessen beruhen und beide zu einem dauerhaften Funktionsverlust führen.
- Das SAW-Konzept umfasst PIRA – einen entscheidenden Faktor für die Verschlechterung der MS ab der frühesten Krankheitsphase – aber auch eine Vielzahl von physischen und kognitiven Symptomen, die sich ohne Schübe allmählich verschlimmern.
- Diese Fortschritte stellen einen bedeutenden Wandel im Verständnis und in der Behandlung von MS dar, insbesondere bei der Erkennung und Behandlung der schwelenden Aspekte der Erkrankung, die allmählich zu einer langfristigen Behinderung führen.
CALs = Chronisch Aktive Läsionen - CSF = Cerebrospinal Fluid (Zerebrospinalflüssigkeit) - EDSS = Expanded Disability Status Scale - GFAP = Glial Fibrillary Acidic Protein - MS = Multiple Sklerose - MSFC = Multiple Sclerosis Functional Composite - MRT = Magnetresonanztomographie - NfL = Neurofilament light - PIRA = Progression Independent of Relapse Activity (Fortschreiten unabhängig von Rückfallaktivität) - PRLs = Paramagnetic Rim Lesions - RAW = Relapse Associated Worsening - SAW = Smouldering Associated Worsening - SELs = Slowly Expanding Lesions - ZNS = zentrales Nervensystem
- Scalfari, Antonio et al. Smouldering-Associated Worsening in Multiple Sclerosis: An International Consensus Statement on Definition, Biology, Clinical Implications, and Future Directions. Annals of neurology, 10.1002/ana.27034. 25 Jul. 2024
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MAT-CH-2501055 – 1.0 – 11/2025